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00:44, 19.04.2024

WINDROSE

 

Regionalausstellung

Schlossmuseum Güstrow
13. August bis 12. September

 

 

Das Schicksal eines hübschen Ausstellungsmottos

Nicht, dass wir dächten, die WINDROSE könnte die 1991 zum Rundflug über den Norden aufgestiegene Kartoffel an Originalität übertreffen! Nicht, dass wir dächten, Güstrow könnte zwischen den Strahlen der Windrose zum Mittelpunkt des nordostdeutschen Kunstlebens werden! Und nicht, dass wir hofften, durch regionale Kunst den Wind erzeugen zu können, der dem Barlachstädtchen als dringend benötigter Aufwind zugute kommen sollte.

Aber wir leben ja in der Tat in einer windreichen Ecke, in stürmischen Zeiten und windigen Verhältnissen. Und wir können aus allen Richtungen der Windrose Gäste zu uns ins Schloss einladen. In der Ausschreibung fanden die Eingeladenen also gleich eine Vielzahl von Hinweisen zu diesem nach allen Wind- und Kunstrichtungen offenen Thema. An die inhaltlichen und künstlerischen Anregungen wiederum knüpften sich Erwartungen, hinter denen das Ergebnis wohl oder übel zurückbleiben musste. Die Ausstellung wird eher in einem friedlichen Windschatten stehen, denn im scharfen Gegenwind der Zeitumstände oder gar im Sturmwind der Geschichte. Das kann am mecklenburgischen Temperament und am Charakter dieser Landschaft liegen. Ist nicht vielleicht auch den meisten Künstlern jegliche Thematik suspekt geworden? Oder sind die individuell existentiellen, psychologischen Erfahrungen und die Weltprobleme nicht überhaupt zu nahe und bedrückend, als dass sie schon künstlerische Formen annehmen könnten? Die Erwartung zum Beispiel „Wer wird den scharfen Wind der Satire ins Schloss bringen?“ hat sich beim Studium der Tageszeitung in den letzten Monaten sowieso erledigt: Die Realsatire rollt über die in Ostdeutschland erst wieder keimenden Disteln und Pfefferschoten der Satire wie ein Panzer hinweg. Auch aus der Mecklenburger Presse kann man die Ohnmacht der Karikatur ablesen.

Also verspüren wir hier mehr den „zarten Lufthauch der Poesie“, und so soll's auch gut sein. Weder den Künstlern noch dem Motto sei Gewalt angetan. Jene Beispiele mit thematischen Aspekt werden um so mehr ins Auge fallen – und Mitte April, da dieser Text geschrieben werden muss, können Überraschungen durch noch entstehende Arbeiten auch nicht ausgeschlossen werden.

Mit einiger Spannung wartet der Veranstalter zu diesem Zeitpunkt auch auf den Ausgang jenes Teiles der Unternehmung, der mit dem Winde ganz real zu tun hat. Wir haben 12 Firmen angeschrieben, die ihr Geld mit Windkraftanlagen verdienen, und haben sie im Interesse der Kunst und ihres eigenen Image zur Unterstützung ermuntert, um eventuell gelungene Entwürfe für die künstlerische Windobjekte im öffentlichen Raum realisieren zu können. Eine der ersten und zu dieser Stunde noch offenen Erfahrungen im Umgang mit potentiellen Sponsoren. Inzwischen ist der erste Windkraftpark des Landes M.-V. Eröffnet worden. In Küstrow – nomen est omen? Auch das Ergebnis einer Bitte um Geld zur Finanzierung eines kleinen „Windrose“-Plakatwettbewerbs, gerichtet an die Stadt und die teilnehmenden Kreise, gehört zu den noch immer neuen Übungen im Kunstbetrieb.

Das Interesse der früheren Geldgeber für die Künste war bekanntlich zwiespältig und eigentlich nicht ganz durchschaubar. In den ersten Jahrzehnten der DDR war die Kunst als Gegenleistung für ihre materielle Förderung vordergründig und oft nicht überzeugend in den Dienst für den sozialistischen Aufbau gestellt, eine Funktion, die von den Künstlern aus Neigung zur Sache oder zum Gelde ausgeübt wurde. Die weltliche Macht hat die geistige Macht der Kunst immer grotesk überschätzt, sowohl bei ihrer Überwachung und Gängelung, wie bei ihrem Einsatz und der entsprechenden Belohnung. Zum Schluss war das Wechselverhältnis von staatstragenden Leistungen und großzügiger Förderung schon zerfallen. Die Ernährung der Künstler und dass man sie gewähren ließ, das Ihre selbstbestimmt zu tun, war zur unvermeidlichen und folgenlosen Selbstverständlichkeit geworden.

Darum sind die Entwöhnung von den Brüsten der eisernen Amme und die Akklimatisation im kalten Wind eines „Marktes“, den es hierzulande ja noch lange nicht geben wird, für die meisten Künstler schwierig und für manche schmerzlich – soweit man dies jetzt überhaupt noch überblicken kann. ABM und andere Maßnahmen geben in einem ebenfalls nicht genau zu erkennenden Ausmaß befristeten Windschutz. Ausstellungen wie diese und die anderen in der Landeskunstschau sind auch Überlebensübungen der Kunstproduzenten.

Wir freuen uns, Gäste aus Bremen und Lübeck, aus Halle und Stuttgart, aus Warschau, Tallinn und Dänemark mit ihren Arbeiten zwischen den hiesigen Ausstellern zu sehen – Belebung, Anregung und Ansporn. Unser Ländchen, nie in Versuchung, sich als große Kunstprovinz zu sehen, sollte sich nicht nur durch die historische Größe Barlach, sondern auch durch die herein gewehten Beiträge dieser Gäste und durch einen zunehmend kräftiger werdenden Austausch von Kunst aus allen Windrichtungen ermuntert sehen, sich über jede Art von Provinzialität zu erheben – und sei es als fliegende Kartoffel....

 

Hermann Raum

 

beteiligte Künstler:
Falko Behrendt
Alexander Hässner
Gerhard Müller
Armin Rieger
Eve Kask
Anna-Elisabeth Weigend
Fotis Zaprasis
Christel Seidel-Zaprasis
Carola Rieger
Günter Horn
Christine Prinz
Claus Hänsel
Angelika Flaig
Barbara Ebert
Günter Kaden